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Der Stress und ich – Teil 1 von 3

Meine Forschung zum Thema Stress in der Eventbranche

Um zu erklären, warum ich mich mit dem Thema Stress beschäftigt habe, muss ich bei Ekke anfangen. Ekke war Dekorateur und Musiker. Er war riesig groß, hatte lange Haare und war fast immer lustig drauf. Und jedes Mal, wenn er mich “Maus” nannte, wusste ich, dass er meinen Namen mal wieder vergessen hatte. Ich mochte Ekke wirklich sehr. Deswegen war es ein ziemlicher Schock, als er 2016 ganz plötzlich starb. Man weiß nicht genau, woran Ekke gestorben ist, ein Herzinfarkt wird vermutet. Ekke war gerade 50 geworden.

Kurze Zeit darauf starb mein Kollege Jörg, Tontechniker, Herzinfarkt, Jörg war 50.

Ich fing an, darüber nachzudenken, warum wir so plötzlich an einem Herzinfarkt sterben, viel zu früh und so unerwartet. Danach ging es in meinem eigenen Leben drunter und drüber und man diagnostizierte mir eine schwere Depression.

Dann kam Corona und mit Corona kamen wieder Todesfälle. Nicht etwa Corona-Todesfälle, sondern Herzinfarkte. Martin, Lichttechniker, starb mit 52 und Woody, Tourmanager, mit 56.

Das war der Zeitpunkt, wo ich nach einem Thema für meine Masterarbeit suchte und für mich stand fest: Das muss ich näher untersuchen. Es gibt unzählige Studien dazu, dass Ärzte wahnsinnig viel Stress haben und davon krank werden. Aber zu uns in der Eventbranche gibt es genau gar keine wissenschaftlichen Erhebungen.

Ich fing also an zu suchen. Erstmal fand ich eine britische Umfrage von POINT3 und AEO aus dem Jahr 2019, in der 70% der Befragten aus der Eventbranche angaben, dass ihr Stresslevel mindestens 7 von 10 beträgt. Das Career Cast Job-Barometer befand den Beruf “Event-Koordinator” als den fünft-stressigsten Job weltweit. Und das in sechs aufeinander folgenden Jahren (2016-2021). Und das alles war noch vor der Corona-Pandemie. Ob man nun an sie glaubt oder nicht, geimpft ist oder nicht, erkrankt oder nicht: Ich war fest davon überzeugt, dass die Pandemie bei uns allen das Stresslevel aus den verschiedensten Gründen ordentlich erhöht hat.

Ich habe also folgende Frage aufgestellt:

  • Gibt es eine Verbindung zwischen der Eventbranche, erhöhten Stresslevel und einem erhöhten Auftreten von stress-bedingten Krankheiten?

Um diese Frage zu beantworten, habe ich verschiedene Schritte unternommen:

  • Herausgefunden, was Stress überhaupt ist
  • Den aktuellen Forschungsstand über stressbedingte Krankheiten festgestellt
  • Eine Umfrage gestartet, in der folgende Faktoren abgefragt wurden:
    • Welche Stressoren haben wir in der Eventbranche?
    • Haben wir ein erhöhtes Stresslevel?
    • Haben wir mehr stressbedingte Krankheiten in der Eventbranche?
  • Mit den vorhandenen Daten folgende Punkte geklärt:
    • Hängen Stress und Stresslevel zusammen?
    • Hängen Stresslevel und stressbedingte Krankheiten zusammen?

In diesem ersten Teil meines Berichtes möchte ich erklären, was Stress ist und wie er zu Krankheiten führt.

Was ist Stress?

Cohen et al. definieren Stress 1997 als einen Prozess, bei dem Stressoren oder Stimuli die Anpassungsfähigkeit eines Organismus fordern oder überfordern. An dieser Definition finde ich direkt zwei Dinge interessant.

Zum einen wird hier zwischen Fordern und Überfordern unterschieden. Gefordert werden ist eine so genannte adaptive Reaktion, das heißt, unser Organismus ist dieser Forderung gewachsen. Das überfordert sein hingegen ist eine maladaptive Reaktion, also eine, der unser Organismus nicht mehr gewachsen ist. Selye führte schon 1976 dafür die Begriffe Eustress für fordernden Stress und Distress für überfordernden Stress ein. Umgangssprachlich sagt man auch guter und schlechter Stress.

Zum anderen beinhaltet diese Definition die beiden Hauptfaktoren für Stress, nämlich den Stressor, also den Reiz von außen, und die Anpassungsfähigkeit oder Resilienz des Organismus‘. Was hier deutlich wird, ist dass es für eine Stressreaktion nicht nur einen Stressor braucht, es braucht auch einen überforderten Menschen. Und das ist die Krux bei Stress: Nicht jeder Mensch reagiert auf jeden Stressor gleich.

Ich versuche das mal, an ein paar Beispielen zu erklären:

Der Swimmingpool:

Nimm einfach mal an, jemand würde dich in einen Swimmingpool schubsen. Der Schubser ist hier unser Stressor und du bist der Organismus. Es gibt verschiedene Arten von Reaktionen, die du jetzt zur Auswahl hast und welche davon du wählst (natürlich unbewusst), hängt ganz entscheidend davon ab, ob du überfordert bist. Kannst du schwimmen? Dann wirst du höchst wahrscheinlich ein wenig überascht sein, vielleicht auch verärgert oder du hast Spaß. Kannst du nicht schwimmen? Dann wirst du höchstwahrscheinlich Stress bekommen, denn du befindest dich in einer potenziell lebensbedrohlichen Situation, die du nicht kontrollieren kannst.

Die Schlange:

Es gibt Stressoren, die sehr universell sind. Dazu gehören große Höhen, Erdbeben, Explosionen etc. Das sind Stressoren, bei denen eigentlich jeder Stress bekommen sollte, weil sie ganz real lebensbedrohlich sind. Aber auch hier gibt es Menschen, die auf bestimmte Stressoren nicht mit Stress reagieren. Ich finde Schlangen zum Beispiel total faszinierend, weswegen ich oft ganz nah an sie herangehe und ihnen sogar folge, wenn sie fliehen. Das ist ziemlich unnatürlich und zugegebenermaßen auch dumm.

In den beiden Beispielen ist klar geworden, dass der Grund dafür, ob wir Stress empfinden, maßgeblich davon abhängt, ob wir eine Situation als lebensbedrohlich empfinden – unabhängig davon, ob sie tatsächlich lebensbedrohlich ist – und davon, ob wir sie kontrollieren können.

Dieses Stress Flowchart zeigt die beiden Faktoren für Stress. Der Organismus, der mit einem Stressoren konfrontiert wird, ordnet diesen entweder als lebensbedrohlich oder nicht als lebensbedrohlich ein. Sollte die Einordnung lebensbedrohlich erfolgen, trifft der Organismus eine weitere Entscheidung, nämlich ob der Stressor kontrollierbar ist oder nicht.

Fällt die Entscheidung, dass ein Stressor lebensbedrohlich und nicht kontrollierbar ist, geht der Organismus in den Flight-or-Flight-Mode, behaupten Kohlhaas et. al 2011.

Hier noch eine Notiz am Rande: Heutzutage sind die meisten Stressfaktoren, auf die wir reagieren, nicht mehr lebensbedrohlich (zum Beispiel Zeitdruck). Um zu verstehen, warum wir trotzdem mit Stress darauf reagieren, müssen wir das Prinzip der Ablehnung verstehen:

Als wir noch Jäger und Sammler waren, sind wir darauf angewiesen gewesen in Gruppen zu leben, denn alleine konnten wir nicht überleben. Damit ein Zusammenleben möglich war, gab es Regeln und jemanden, der dafür zuständig war dafür zu sorgen, dass diese Regeln eingehalten wurden.

Hat nun jemand gegen die Regeln verstoßen, wurde er aus dem Stamm ausgeschlossen. Das hat damals ziemlich sicher zum Tod geführt. Und dann hat die Evolution noch dafür gesorgt, dass sich die Menschen, die sich angepasst haben, vermehrt haben, wohingegen die aus dem Stamm ausgeschlossenen (und wahrscheinlich toten) sich nicht mehr vermehren konnten.

So ist das Bedürfnis, uns den Regeln oder dem Chef anzupassen, über Generationen in uns gewachsen. „Dieser Drang ist so elementar für uns, dass er den Fight-and-Flight-Mode auslösen kann, wenn wir uns von unserer sozialen Gruppe schikaniert, abgelehnt oder beschämt fühlen" so Harperwest in ihrem Artikel über das Phänomen. K. Ochsner und Konsorten sprechen in Ihrer Studie aus dem Jahr 2008 auch vom sozialen Tod, der damals durchaus auch ein physischer Tod gewesen ist.

Der Fight-or-Flight-Mode also. Das hat man ja in der Regel schon mal gehört, aber was ist das überhaupt?

Ich versuche das mal etwas allgemeinverständlicher zu erklären:

Fight-or-Flight-Mode bedeutet auf Deutsch Kampf-oder Flucht-Modus. In unserem Gehirn ist der zerebrale Kortex dafür zuständig einzuordnen, ob eine Situation lebensbedrohlich und kontrollierbar ist. Dies geschieht in der Regel nicht bewusst, wir bekommen das also nicht mit.

Was wir allerdings mitbekommen, ist das, was dann passiert. Die so genannte HPA-Achse wird aktiviert. HPA steht für Hypotalamic-Pituary-Adrenal, also die Verbindung zwischen dem Hypothalamus, der Hypophyse (zwei Teilen des Gehirns) und der Nebenniere. Der zerebrale Kortex sendet Neurotransmitter über die Hypophyse und die Amygdala - das sind andere Regionen im Gehirn - an die Nebenniere und die produziert dann Adrenalin. Das Gefühl kennt man: Das Herz schlägt rasch, die Atmung wird schneller, der Blutdruck wird erhöht – all das sorgt dafür, dass Energie im Körper zu Verfügung gestellt wird, die wir brauchen, wenn wir einer realen Bedrohung gegenüberstehen - so Dallman & Hellhammer, 2011 und Mariotti, 2017.

Problematisch wird die Situation erst, wenn der Stressor über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt. Dann sendet der zerebrale Kortex nämlich über die Hypophyse Hormone an die Nebenniere und diese produziert dann Cortisol. Cortisol hält unseren Blutdruck hoch und unsere Aufmerksamkeit geschärft. Außerdem hat Cortisol Einfluss auf die Entzündungsprozesse in unseren Körpern und regelt die Hormonausschüttung, inklusive dem Hormon Cortisol selbst. Nach einer Weile wird der Körper resistent gegen Cortisol und gerät aus dem Gleichgewicht (Mariotti, 2017; Segerstrom & Miller, 2004; Dhabhar, 2011).


Was sind stressbedingte Krankheiten?

Dieser ständig erhöhten Cortisol-Spiegel und das Ungleichgewicht im Hormonhaushalt sowie Entzündungsprozesse im Körper verursachen eine ganze Reihe von Krankheiten. Dazu gehören zum Beispiel alle Arten von Krebs (Baum et al., 2011), ein erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten wie HIV (Fischer-Pedersen et al., 2011; Perez et al., 2011), verringerte Reproduktionsfähigkeit, chronische Schmerzen, Essstörungen, Alzheimer, Schlaf- und Erinnerungsstörungen, Magengeschwüre, Nichtalkoholische Fettlebererkrankung und Drogensucht (Davis et al., 2011; O’Connor & Conner, 2011; Hash-Converse & Kusnecov, 2011; Brooks et al., 2011; Liu et al., 2017; Grunberg et al., 2011; Digestive Health Team, 2022).

Es sind aber vor allem zwei Krankheitsbilder, über deren Zusammenhang mit Stress es unzählige Forschungserkenntnisse gibt: Herz-Kreislauf Erkrankungen (a.k.a. Herzinfarkt) und Depressionen.

  • Stress ist ein wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, und Bluthochdruck (Crestani, 2016; Lloyd-Jones et al., 2009). Stress führt zusätzlich dazu, stress- und krankheitsfördernde Lebensgewohnheiten zu fördern. Das kann Rauchen oder Alkoholkonsum sein. Es gibt Studien, die belegen, dass Raucher unter Stress mehr rauchen. Damit erhöhen sie das Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusätzlich. Die Studie belegte auch, dass man unter Stress weniger häufig stress-regulierende Tätigkeiten wie Sport erledigt und sich tendenziell schlechter ernährt. Ein erhöhter Cortisolspiegel erschwert es übergewichtigen Menschen auch, das Gewicht wieder loszuwerden und Übergewicht ist ein weiterer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Bekkouche et al., 2011). Ihr seht also: Es entsteht ein unschöner Teufelskreis, der sich irgendwann selbst befeuert.
  • Auch zum Zusammenhang zwischen Depressionen und Stress gibt es überwältigende wissenschaftliche Erkenntnisse (Tennant, 2002). Laut einer Studie von Kendler im Jahr 1999 zeigen depressive Patienten zum Beispiel regelmäßig erhöhte Cortisol-Level und strukturelle Veränderungen in der HPA-Achse. Die selbe Studie erkennt auch, dass einen Monat nach einem stressigen Ereignis im Leben eines Menschen die Wahrscheinlichkeit, eine schwere depressive Episode zu erleben, fünfmal höher ist als in anderen Phasen.

Und damit bin ich wieder am Anfang meiner Geschichte, denn als ich das herausgefunden hatte, war mir klar, dass Ekkes, Jörgs, Martins und Woodys Herzinfarkte und auch meine eigenen Depressionen nicht unbedingt zufällig waren. Aber um das zu beweisen musste ich erst eine Umfrage starten. Und um die soll es in Teil II meines Berichtes gehen.


Teil 2