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Feierabend

Stressige Zeiten

Es geht wieder los. Mit einer hartnäckigen Ignoranz angesichts der Tatsache, dass wir uns offiziell immer noch in einer Pandemie befinden, tritt die deutsche Veranstaltungsszene aufs Gas. Bleifuß. Was wir gerade erleben (müssen), nachdem man uns über zwei Jahre am langen Arm hat verhungern lassen, lässt sich kaum in Worte fassen. Personal- und Materialmangel, Krankheitsausfälle, Überstunden, back to back Jobs in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und dazu bei vielen der Druck der über Corona angehäuften Schulden, die gerne abbezahlt werden wollen bzw. die Angst, dass wir im Oktober im nächsten Lockdown sitzen und wieder in der Nase bohren.

Kurz gesagt: Wir haben Stress. Und zwar so richtig, mit Anlauf.

Nun ist Stress nicht unbedingt eine gute Sache. Es gibt wohl durchaus positiven Stress, dem Eustress (obwohl positiv ja mitunter auch negativ sein kann, wie wir mittlerweile alle wissen, doch das nur am Rande), aber über einen solchen Stress reden wir nicht. Wir sprechen vom guten alten richtig ätzenden, krank machenden und mitunter sogar tödlichen Stress, dem Distress.

Dass Stress tödlich sein kann, wurde mir persönlich ein weiteres Mal sonnenklar, als ein von mir sehr geschätzter Kollege vor kurzem auf Tour an einem Herzinfarkt starb.

Wenn man sich die Todesursachen oder „Zivilisations“-Krankheiten unserer Gesellschaft mal anschaut, dann listet das statistische Bundesamt an erster Stelle der Todesursachen (vier von zehn) in Deutschland für 2020 die so genannten Herz-Kreislauf Erkrankungen auf. Also Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall. Wenn man sich des Weiteren nun die Risikofaktoren für diese Erkrankungen ansieht, muss man feststellen, dass neben ungesunder Ernährung, Übergewicht, Alkohol und Rauchen, Stress einer der Hauptfaktoren ist. Und mal im Ernst: Unsere Branche ist ja nun auch nicht gerade bekannt für gesundes Essen, ausreichend Schlaf und eine ausgeglichene Work-Life Balance.


Das Feierabendbier

Was können wir also tun? Gerade jetzt, wo es wirklich stressig ist und wenige in der finanziellen Lage sind, Jobs abzulehnen.

Stress ist etwas extrem Subjektives. Er entsteht dann, wenn jemand eine Situation als bedrohlich einstuft und ist durch eine erhöhte Ausschüttung von Cortisol und Adrenalin gekennzeichnet. Diese Ausschüttung ist erstmal gut, denn sie macht uns leistungsfähiger und lässt uns die empfundene Bedrohung besser meistern. Gehen diese Hormone aber nicht zurück sondern bleiben über einen längeren Zeitraum bestehen, werden sie gesundheitsgefährdend. Auf der Seite der AOK gibt es eine Liste mit so genannten Stressoren. Dazu gehören unter anderem Termindruck, Reizüberflutung, kein Ausgleich zur Arbeit, wenig Freizeit und Schwierigkeiten abzuschalten.

Die Qualität eines Jobs, dessen zeitliche Planung und den krankheitsbedingten Ausfall von Kollegen, können wir in den seltensten Fällen beeinflussen. Es ist und bleibt stressig. Was wir allerdings danach tun, also auf dem Hotelzimmer oder zuhause, das schon. Viele Kolleg:innen, auch ich, legen sich dann ins Bett und netflixen. Das empfinde ich als entspannend. Oder ich daddele noch stundenlang an meinem Handy herum oder gucke süße Hundevideos auf Insta. Leute, das ist totale Kacke. Unsere durch laute Soundchecks, abrupt wechselnde Lichtsequenzen und ständigen Content bereits komplett überfluteten Sinne brauchen eine Pause. Wir müssen runter kommen.

Das ist der Kasus Knacktus, denn das ist überhaupt nicht so einfach. Wir sind ja voll von Cortisol und Adrenalin, die unsere Sinne schärfen und uns bereit für den Feind machen.

Und jetzt kommt der Mega Game-Changer ins Spiel: Das Feierabendbier.


Positive Rituale

Jeder von Euch weiß es, auch wenn wir wahrscheinlich nicht wissen, warum, aber das Feierabendbier mit den Kollegen bringt uns runter, es tut uns gut. Das ist erstaunlich, denn wir alle haben ja gelernt, das Alkohol schlecht ist und gehört er nicht sogar zu den Risikofaktoren für Herz-Kreislauf Erkrankungen? Das macht überhaupt keinen Sinn! Aber den macht es am Ende doch und ich erkläre Euch auch warum: Das Feierabendbier ist neben der Tatsache, das es in den meisten Fällen ein alkoholisches Getränk ist, vor allem ein Ritual.

In stressigen Zeiten, geben uns Rituale Sicherheit und bauen Stress ab, da sie beständig sind, das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und Ruhe in den Alltag bringen. Es gibt Studien, die belegen, dass das simple Zubereiten einer Tasse Kaffee das Stresslevel bereits messbar senkt.

Wir haben diese Rituale bereits. Unbewusst. Die Tasse Kaffee bei der Sicherheitsunterweisung, die Kippe nach dem Essen, das Feierabendbier. Leider fliegen genau diese Dinge als erste von der Tagesordnung, wenn es stressig wird. Dann wird das Mittagessen runtergeschlungen, die Kippe fällt aus, im schlimmsten Fall gibt es sogar gar kein Catering. Dabei sind diese kleinen Rituale gar nicht so zeitaufwendig wie man denkt. Helfen aber enorm.

Einer meiner Auftraggeber stellt zum Beispiel morgens um acht als erstes das Bier kalt. Das ist an sich ja schon ein Ritual, aber es ist auch die Ankündigung des abendlichen gemeinsamen Biertrinken-Rituals. Es ist ein verlässlicher Punkt auf der Arbeitsagenda und strukturiert meinen Tagesablauf.

Das Feierabendbier Ritual unterliegt natürlich auch Gesetzen oder weiteren Ritualen denn zum Beispiel redet man während des Feierabend Biers nicht über den Job, auf dem man gerade ist. Man erzählt Privates oder Anekdoten von anderen Baustellen bis hin zu „Weißt Du noch, als der xyz damals nach München gefahren ist und dann angerufen hat weil er München Gladbach nicht gefunden hat?“

Lachen ist übrigens auch super gut gegen Stress! Es schüttet nicht nur Endorphine aus, es senkt auch Cortisol und Adrenalin. Und in den abendlichen Runden, denen ich bislang beiwohnen durfte, wurde immer viel gelacht.

Für mich persönlich ist die Tatsache, dass ich mit dem Feierabendbier Alkohol trinke auch ein natürlicher Endpunkt für alle Arbeiten. Wenn ich Alkohol konsumiere, fahre ich danach weder Steiger, noch klettere ich auf eine Leiter oder nehme gar irgendein Stromkabel in die Hand. Daher ist das Bier der unumkehrbare Endpunkt meiner täglichen Arbeit.

Aber natürlich ist Alkohol erstmal nicht gut und ich möchte ihn hier auch gar nicht verherrlichen. Vor allem möchte ich betonen, dass Menschen, die Alkohol getrunken haben, nicht mehr auf irgendwelchen Baustellen herumzulaufen haben und ich Alkohol in der Mittagspause für eine denkenswert schlechte Idee halte.

Viele Kollegen trinken inzwischen Lightbeer oder alkoholfreies Bier zum Feierabend oder wechseln das ab. Das ist auch eine gute Methode. Der Körper speichert bestimmte Empfindungen im Zusammenhang mit dem Konsum von Essen und Getränken ab. Ich kann also in einen ähnlich entspannten Zustand kommen, auch wenn mein Bier gar keinen Alkohol enthält, weil mein Körper gelernt hat, dass er sich nach dem Konsum von Bier entspannt. Das ist das so genannte Placebo-Bier, das auch psychologisch erforscht ist.

Wie dem auch sei, mit oder ohne Alkohol, das Feierabendbier ist etwas, das wir in Ehren halten sollten. Ob mit Kollegen oder mit dem/r Partner:in, oder allein am Fluss sitzend, ganz egal. Psychologieprofessor Dr. Windemuth rät dazu, es bei einem Bier zu belassen, sich das Feierabendbier aber nicht zu verbieten.

In diesem Sinne: Sehr zum Wohle!!