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Der Stress und ich Teil 2 von 3

In diesem Teil meines Berichtes geht es um Stressoren und was sie mit uns machen. Wenn Du erst wissen möchtest, warum ich mich mit Stress beschäftige, was Stress eigentlich genau ist und warum er krank machen kann, dann lies erst den ersten Teil meines Berichtes.

Die Umfrage

Wenn ich gewusst hätte, was für eine Arbeit so eine Umfrage ist, hätte ich mir das vielleicht doch anders überlegt. Da gehört nämlich eine gehörige Portion Wissen dazu, einerseits zu Themen wie Methodik, ethischen Fragen wie auch Datenschutz und das Thema Insider Research, also wenn man eine Gruppe recherchiert, zu der man gehört. Aber dann natürlich auch jede Menge Statistik. Also zum Beispiel, wie viele Menschen muss ich befragen, damit meine Umfrage auch repräsentativ ist? Wie finde ich heraus, ob meine Ergebnisse belastbar sind? Wie schließe ich Zufall aus? Alle diese Dinge kann man statistisch berechnen und dass ich da überhaupt einen Fuß auf den Boden bekommen habe, verdanke ich Madina Kukenova, meiner Professorin für Finanzen und Statistik an der Swiss School of Higher Education.

Meine Berechnungen (und die von Madina) haben ergeben, dass ich für eine repräsentative Umfrage 1.067 Datensätze benötige. Die Formel dazu sieht folgendermaßen aus:

Das ist eine ziemlich ambitionierte Menge an Teilnehmenden, aber Dank Euch hatte ich am Ende 1.142 verwertbare Datensätze, also genug. So, jetzt aber zum Thema:

Ich wollte ja folgendes wissen:

  • Gibt es eine Verbindung zwischen der Eventbranche, erhöhten Stresslevel und einem erhöhten Auftreten von stress-bedingten Krankheiten?

Und dafür hatte ich im ersten Teil erstmal geklärt:

  • Was Stress überhaupt ist und
  • den aktuellen Forschungsstand zu stressbedingte Krankheiten durchforstet.

Um meine Frage beantworten zu können, musste meine Umfrage folgende Erkenntnisse bringen:

  • Welche Stressoren haben wir in der Eventbranche?
  • Haben wir ein erhöhtes Stresslevel?

Und ich will herausfinden

  • ob Stress und Stresslevel zusammenhängen.

Im dritten Teil meines Berichtes untersuche ich dann

  • ob wir mehr stressbedingte Krankheiten in der Eventbranche haben und
  • ob Stresslevel und stressbedingte Krankheiten zusammenhängen.


Stressoren in der Eventbranche

Um das Thema Stressoren irgendwie greifbarer zu machen, habe ich nach einer Klassifizierung von Stressoren gesucht. Die University of Concordia in Montreal, Kanada bietet eine gute Zusammenfassung der aktuellen Stressforschung sowie eine übersichtliche Klassifizierung von Stressoren (Examples of Stressors, 2020). Diese Klassifizierung habe ich übernommen und an die Eventbranche angepasst.

Bei der Umfrage ergab sich dann folgendes Bild:

In der Grafik seht Ihr alle Stressoren, die ich abgefragt habe, sortiert nach der Häufigkeit, in der sie bei den Befragten auftreten. Wichtig zu wissen ist hier, dass nur die Datensätze angezeigt werden, bei denen ein Stressor regelmäßig oder fast immer auftritt. Hier sieht man also zum Beispiel, dass 81% aller Befragten mindestens regelmäßig Zeitdruck ausgesetzt sind und 70% gaben an, nicht genug Zeit für ihre Hobbies zu haben. Nur etwa fünf Prozent aller Teilnehmenden nahmen regelmäßig Downer oder mussten in starkem Regen arbeiten und etwa 9% haben schon einmal aus Arbeitsgründen Ihre bessere Hälfte verloren.

Die Tabelle sagt noch nichts darüber aus, ob und wie viel Stress durch die einzelnen Stressoren ausgelöst wird. Wir erinnern uns sicher an Teil 1, wo ich erklärt habe, warum ein Stressor allein nicht ausreicht, um Stress auszulösen.

Es war deswegen sehr wichtig, herauszufinden, wie gestresst wir wirklich sind.


Stress messen

Du kannst Dir sicher vorstellen, dass das gar nicht so einfach ist. Stress ist ja ziemlich subjektiv. Und wenn ich jetzt meine Gruppe einfach frage, wie gestresst sie auf einer Skala von 1-10 sind, und ich finde zum Beispiel heraus, dass der Durchschnitt 7 ist, sagt mir das nicht, ob das mehr oder weniger ist, als beim Rest der Menschheit.

Also musste ein validiertes Tool her. Eins, das so weit verbreitet ist, dass ich Vergleichswerte habe. Und dieses Tool war dann für mich die Perceived-Stress-Scale (PSS) von Cohen et al. (1983). Der PSS-10 wird seit Jahrzehnten zur Messung des Stressniveaus in klinischen Studien verwendet.

Die Befragten beantworten 10 Fragen. Aus den Antworten wird ein Score errechnet, der bestimmt, wie gestresst man ist.

Cohen et al. selbst befragten 1983 2.387 US-Amerikaner und ermittelten einen durchschnittlichen Stress-Score von 13,06. In einer ähnlichen Studie von Klein et al. wurden 2016 2.463 deutsche Personen befragt und das durchschnittliche Stresslevel lag bei 12,57. Diesen letzten Wert habe ich auch als Vergleichswert genommen. Erstens, weil er aktueller ist, und zweitens, weil er den deutschen Kulturraum betrifft.

Ich lasse in diesem Bericht eine ganze Menge aus. Das liegt daran, dass ich glaube, dass es für die Meisten nicht interessant ist. Daher möchte ich gerne an dieser Stelle auf die komplette Studie verweisen, die Ihr hier lesen könnt, wenn Ihr Fragen zur Methodik, zur Demografie der Befragten, zu den Verbreitungskanälen der Umfrage und noch vielem mehr habt.

So, nun aber zu dem PSS-Score aus meiner Umfrage. Der durchschnittliche Score lag in der Gruppe bei 16,96 – also deutlich höher als der deutsche Durchschnitt. Ich konnte mir aber schlecht vorstellen – nur anhand von zwei Zahlen – ob das jetzt deutlich mehr oder nur ein bisschen mehr ist. Mich hat also interessiert, was für einen PSS-Score Menschen haben, die so richtig krass gestresst sind im Job. Da habe ich wieder ein bisschen geforscht. Und weil dieser PSS eben sehr verbreitet ist, bin ich fündig geworden und habe eine Studie aus dem Jahr 2007 gefunden, in der McAlonan et al. eine Gruppe von Hochrisiko-Gesundheitspersonal während einer Pandemie in Israel erforscht hat. Und bei denen fanden sie ein Stresslevel von 17.

Wenn man das jetzt so sieht, sieht es gar nicht mehr so gut aus. Es gab aber auch innerhalb der befragten Gruppe interessante Beobachtungen:

Zuerst habe ich mir den Unterschied zwischen Männern, Frauen und non-binären Menschen angeschaut. Frauen haben generell einen höheren PSS-Score als Männer, das zeigt sich in vielen Studien und so ist es auch bei uns. Unsere Männer liegen bei 16,09 und unsere Frauen bei 16,98. Warum das so ist, ist ein interessantes Thema. Wen das interessiert, der kann gerne mal hier weiterlesen. Die sieben non-binären Teilnehmer:innen haben einen Schnitt von 17,01, der aber leider wegen der geringen Datenzahl nicht aussagekräftig ist. Aber auch dazu gibt es interessante Fakten, denn auch der Durchschnitt der LGTBQ-Menschen hat mehr Stress als der Rest der Bevölkerung.

Dann habe ich mir Altersgruppen angeguckt. In der Altersgruppe 18-29 sieht man den höchsten Score (18,03), und das geht dann proportional runter wie man in der Grafik sehen kann. Je älter wir werden, desto weniger stressen uns die Stressoren. Das nennt man dann Resilienz. Wir werden also mit steigendem Alter resilienter gegen Stressoren. Dieses Phänomen sieht man ebenfalls auch in anderen Studien, das ist also völlig normal. Trotzdem sind wir insgesamt deutlich höher als die Vergleichsgruppen.

Das gleiche Phänomen konnte ich bei der Dauer der Zugehörigkeit zur Branche feststellen. Menschen, die neu dabei sind, haben den meisten Stress (18,78) und der nimmt dann sukzessive ab, bis die Menschen, die 40 Jahre oder länger dabei sind mit einem Schnitt von 12,31 aufwarten. Diese Gruppe von Teilnehmenden ist im Übrigen die einzige Gruppe, die unter dem Schnitt der deutschen Bevölkerung von 12,57 liegt. Es ist davon auszugehen, dass Menschen, die frisch in der Branche sind, jünger sind als die, die schon lange dabei sind. Daher verwundert auch das nicht.

Als letztes habe ich mir angeschaut, was die familiäre Situation mit dem Stress zu tun hat. Dabei habe ich festgestellt, dass Menschen, die in einer (wie auch immer gearteten) Beziehung leben und/oder Kinder haben, weniger gestresst sind als ihre Single- und kinderlosen Kolleg:innen. Und wie bei allen anderen Punkten, ist auch diese Beobachtung nicht einzigartig. In der oben erwähnten Studie von Klein et al. kann man alle diese Dinge auch beobachten. Der Unterschied ist nur, dass alle diese Phänomene bei Klein auf einem insgesamt niedrigeren Stress-Niveau stattfinden.

Fun fact: Diejenigen, die bei der Frage nach dem Beziehungsstatus “Sonstiges” angegeben haben (es waren nur drei), haben einen PSS-Score von 20,33 (der höchste innerhalb der Gruppe). Ein Beziehungsstatus “es ist kompliziert” scheint also eher stressig zu sein.

Der Zusammenhang zwischen Stressoren und Stress

Um zu erklären, warum es wichtig ist, den Zusammenhang zu erforschen, möchte ich eine kleine Anekdote von Elizabeth Gilbert erzählen:

Statistische Studien haben zweifelsfrei bewiesen, dass in Amerika die meisten Menschen in geografischen Gebieten mit hohem Eiscremeverkauf ertrinken. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Kauf von Speiseeis dazu führt, dass Menschen ertrinken. Es bedeutet eher, dass der Eisverkauf an Stränden am größten ist und die Menschen an Stränden ertrinken, weil dort am häufigsten Wasser ist. Die Verknüpfung der beiden völlig unzusammenhängenden Begriffe Eiscreme und Ertrinken ist ein perfektes Beispiel für einen logischen Fehlschluss.

Das wollte ich gerne ausschließen. Um jetzt bei diesem Beispiel zu bleiben, könnte man beispielsweise die Menschen untersuchen, die ertrinken und mit denen vergleichen, die nicht ertrinken. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird sich der Eiscreme-Konsum der beiden Gruppen nicht sonderlich voneinander unterscheiden.

Daher habe ich mit meiner Gruppe etwas ähnliches gemacht. Ich habe die Menschen innerhalb meiner Gruppe untersucht, die angegeben haben, dass sie bestimmten Stressoren mindestens regelmäßig oder fast immer ausgesetzt sind und habe deren Stresslevel mit dem Durchschnitt verglichen. Bestünde kein Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren, wären die Stresslevels wahrscheinlich ähnlich. In meiner Untersuchung aber, waren die Stresslevel derjenigen, die vielen Stressoren ausgesetzt sind alle ausnahmslos über dem Durchschnitt der Gruppe.

Der Grund, warum hier nicht alle Stressoren zu sehen sind ist, dass manchmal nur sehr wenige Teilnehmende diesem Stressor besonders stark ausgesetzt waren. Wenn das der Fall ist, sind solche Zahlen nicht aussagekräftig genug, daher habe ich diese Stressoren nicht betrachtet (obwohl auch dort alle Stress-Level überdurchschnittlich hoch waren).

Ihr seht aber in der Grafik, dass der Durchschnitt meiner Gruppe bei 16,96 liegt und die Gruppen mit starker Belastung durch Stressoren zum Beispiel bei Zeitdruck 17,5 Punkte zeigt, bei schlechtem Schlaf sogar 19,3. Was man auch gut sehen kann, ist die Tatsache, dass nicht jeder Stressor die Menschen gleich beeinträchtigt. Ihr erinnert Euch an Teil 1: Nicht jeder Stressor führt zwangsläufig zu Stress. Das kann man hier sehr schön beobachten.

Aber zurück zum Punkt: Mit dieser Untersuchung habe ich die Verbindung zwischen den Stressoren und dem Stresslevel hergestellt. Zur Sicherheit habe ich das auch nochmal andersherum untersucht, also diejenigen angeschaut, die angegeben haben, dass sie bestimmten Stressoren fast nie oder nie ausgesetzt sind und festgestellt, dass deren Stresslevel konstant unterdurchschnittlich sind.

Somit ist von einem Zusammenhang zwischen den identifizierten Stressoren und den erhöhten Stresslevel auszugehen.


Teil 3